Öffentliche Verwaltung: Vom analogen Hinterwäldler zum digitalen Vorreiter

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Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung
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Wir schreiben das Jahr 2022 und noch immer ist Papier ein treuer Begleiter unserer täglichen Arbeit – besonders in den Behörden. Das geht sogar so weit, dass die Feuerwehr dieser Tage teilweise noch via Fax über die Einsatzdetails informiert wird. Oder Krankenkassen eine allgemeine Impfpflicht ablehnen, weil ihnen das viele Papier für die Umsetzung fehlt.

Doch genug mit der Schwarzmalerei, denn Deutschland ist auf dem besten Weg, in Sachen Digitalisierung mächtig an Fahrt zu gewinnen – spätestens seitdem die öffentliche Verwaltung mit Beginn der Corona-Pandemie ins öffentliche Interesse gerückt ist. Zwar liegt Deutschland als viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt im Bereich des E-Governments aktuell noch auf Rang 24 der EU27+-Staaten. Doch mit Vorreitern wie Dänemark, Niederlande oder Österreich erhält Deutschland nennenswerte Musterbeispiele, wie Verwaltung anders gedacht werden kann. Deshalb gilt es nun, bekannte Pfade zu verlassen und neues, unbekanntes Terrain zu betreten. Die ersten Grundsteine dafür sind bereits mit der Verabschiedung einiger Gesetze getan.

Erste richtungsweisende Gesetze sind bereits verabschiedet

So ist es beispielsweise mit dem E-Rechnungsgesetz seit dem 27. November 2020 verpflichtend, Rechnungen an öffentliche Träger nur noch digital zu übermitteln. Mit dem Onlinezugangsgesetzes (OZG) gibt der Gesetzgeber seit 2017 weiterhin vor, alle Verwaltungsdienstleistungen bis Ende 2022 auch digital anzubieten. Dieses Gesetz ist für die Verwaltungslandschaft in dreifacher Hinsicht der Auftakt zu einem Wandel, den sich viele lang ersehnt haben. Denn zum einen regt es alle Beteiligten zu einer neuen Nachhaltigkeit im E-Government an. Zum anderen nehmen viele öffentliche Träger dieses Gesetz zum Anlass, um ihre Fachanwendungen und internen Abläufe zu digitalisieren. Damit Bürger und Organisationen die digitalisierten Leistungen aller Behörden bundesweit nutzen können, bedarf es einer passenden technischen OZG-Infrastruktur. Sie besteht unter anderem aus einem Portalverbund, mit dem die Verwaltungsportale des Bundes und der Länder miteinander verknüpft sind. So sind alle gewünschten Online-Leistungen und die dazugehörigen Informationen deutschlandweit zentral über eine Verwaltungsplattform aufrufbar.

Doch welche grundlegenden Trends bringt die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung mit sich?

1. Anpassung an Bedürfnisse der Verwaltungsumwelt

Digitale Kommunen haben den Vorteil, dass sie aufgrund ihrer Wendigkeit in der Lage sind, schneller und klüger auf Veränderungen und Bedürfnisse der Kunden zu reagieren. So stärken sie nicht nur ihre Handlungsfähigkeit, sondern werden außerdem für die Bürger attraktiver. Besonders bei dem aktuellen Fachkräftemangel kommt ihnen die Digitalisierung sehr zugute.

2. Aufbau digitaler Leistungen, Prozesse und Strukturen

Das Online-Zugangsgesetz ermöglicht den Behörden, ihre verstaubten Prozesse zu revolutionieren, sie zu digitalisieren und Multikanalzugänge zu eröffnen. Dabei gilt es, die wiederkehrenden, standardisierenden Prozesse zu automatisieren, eine wiederholte Dateneingabe zu vermeiden und die Verwaltungsdienstleistungen auftragslos bereitzustellen. Für die Bürger bedeutet das, dass sie ihre gewünschten Leistungen künftig nicht nur schneller, einfacher und barrierefreier erhalten. Ferner bringt dies eine reibungslose Verarbeitung in der Verwaltung mit sich. Die Verlängerung des Personalausweises oder die Anmeldung des Kraftfahrzeugs soll künftig mit nur wenigen Klicks über das Smartphone möglich sein . Lange Wartezeiten gehören so künftig der Vergangenheit an. Hinzu kommt, dass sich die gewünschten Dienstleistungen auch außerhalb der Öffnungszeiten abrufen.

3. Veränderung der internen Kommunikation und des Mindsets

Wenn eine Organisation teamorientierter und agiler wird, beginnt auch der Kommunikationsfluss der Mitarbeiter an Dynamik zu gewinnen.

Die innerbetriebliche Kommunikation in den öffentlichen Verwaltungen ist trotz zunehmendem Digitalisierungsgrad oft noch sehr starr. Deshalb gilt es, eine offene und transparente Kommunikationskultur aufzubauen, die sowohl im Innen wie im Außen Bestand hat.

Selbiges trifft auch auf die bestehende Fehlerkultur zu. Verwaltungen, bei denen Fehler und kluges Scheitern erlaubt sind, sind experimentierfreudiger und weniger von Druck und Erfolg getrieben. Dieses Mindset unterstützt sie dabei, kreative, zuverlässige und fehlerfreie Ergebnisse zu entwickeln und sich selbst die Erlaubnis zu geben, schwerfällige und unzweckmäßige Lösungen über Bord zu werfen. Dieses flexible Handeln gibt ihnen die Möglichkeit, Prozesse zu hinterfragen und innovative Strukturen zu etablieren. Diese neue Art der Verwaltungskultur trägt einerseits maßgeblich dazu bei, gemeinsam an neuen Lösungen zu arbeiten. Andererseits fördert sie, die Digitalisierung als Team weiter voranzutreiben.

4. Mobiles Arbeiten

Die Digitalisierung der Prozesse und Abläufe ermöglicht es auch in der öffentlichen Verwaltung, die Aufgaben von zu Hause oder unterwegs zu erledigen. Ohne an einen bestimmten Ort gebunden sein zu müssen. Diese Flexibilität unterstützt die Verwaltungen nicht nur bei der Akquise neuer Mitarbeiter, sondern trägt außerdem zu einer ausgeglichenen Work-Life-Balance und Gesundheitsförderung bestehender Mitarbeiter bei. Ganz nebenbei reduziert mobiles Arbeiten lästige Fahrzeiten, Fahrtkosten, Staus und damit den Ausstoß von umweltschädlichen CO2-Emissionen. Durch neue Raumkonzepte können Büroräume ferner effizient genutzt und leere Flächen innovativ eingesetzt werden.

Interesse an digitalen Dienstleistungen auf hohem Niveau

Einer aktuellen Umfrage des Branchenverbandes Bitkom zufolge, haben 77 Prozent der Befragten ein großes Interesse an digitalen Angeboten ihrer Stadt oder Gemeinde. Drei von vier Deutschen wollen in Zukunft digital mit Behörden kommunizieren und ihre Anliegen automatisch und digital erledigen können. Auch die Erwartungen an die Verwaltungen steigen kontinuierlich. So haben 87 Prozent der Befragten die Erwartungshaltung, jederzeit den aktuellen Bearbeitungsstand sowie die voraussichtliche Bearbeitungsdauer online einsehen zu können und wünschen sich, dass ihre Anliegen schneller bearbeitet werden.

„Was in Ländern wie Dänemark eine Selbstverständlichkeit ist, wünschen sich auch die Menschen in Deutschland: unabhängig von Zeit und Ort Behördengeschäfte zu erledigen. Den Ämtern würde das meterdicke Aktenberge ersparen, Millionen Briefe würden überflüssig und die Umstellung auf papierlose Kommunikation wäre nicht zuletzt ein wichtiger Beitrag, knappe Ressourcen wie Holz und Wasser zu sparen und das Klima zu schonen. In der Verwaltung können digitale Informationen direkt strukturiert erfasst und ohne Medienbrüche verarbeitet werden – schneller, effizienter und weniger personalintensiv“, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg.

Wie gestaltet sich der Digitalisierungsprozess in der öffentlichen Verwaltung?

Zur ersten Einschätzung, welchen Digitalisierungsgrad eine Leistung besitzt, hat die Europäische Kommission das sogenannte Reifegradmodell ins Leben gerufen. Es ermöglicht zum einen, den digitalen Entwicklungsstand einzelner Leistungen zu bewerten. Zum anderen soll es den Behörden als verlässliche Grundlage bei der Bewertung der OZG-Konformität ihrer bestehenden und geplanten Online-Verwaltungsleistungen dienen.

Das Reifegradmodell im Detail

Das Modell misst die Online-Verfügbarkeit unterschiedlicher Leistungen auf einer Skala von 0 bis 4. Null gibt an, dass die betrachtete Leistung nur offline verfügbar ist. Liegt die Bewertung hingegen bei 4, kann diese Leistung vollständig digital abgewickelt werden. Haben Verwaltungsleistungen den Reifegrad 2 erreicht, gelten sie als online abrufbar und sind als Antrag digital verfügbar. Eine vollständige digitale Abwicklung des Online-Services ist ab Reifegrad 3 möglich. Dies umfasst den Antragsprozess, die Authentifizierung, die Nachweisübermittlung sowie die digitale Zustellung des Bescheides, sofern der Nutzer einen entsprechenden digitalen Rückkanal eröffnet. In Stufe 4 müssen von den Antragstellenden keinerlei Nachweise mehr erbracht werden, die der Verwaltung bereits vorliegen (“Once-Only-Prinzip“).

Sind Verwaltungsleistungen bereits online, werden sie so lange weiterentwickelt, bis sie flächendeckend in allen Kommunen in Deutschland nutzerfreundlich verfügbar sind.

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Der Blick in die Praxis schürt Zuversicht

Doch wie weit ist die Digitalisierung in den Kommunen tatsächlich vorangeschritten? Einen Überblick zum Status wichtiger Vorhaben zur Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung in Deutschland zeigt das Dashboard Digitale Verwaltung. Aus der Grafik zur Online-Verfügbarkeit aller OZG-Leistungen geht Nordrhein-Westfalen klar als Vorreiter hervor, wenn es um die Digitalisierung der Verwaltungen geht – dicht gefolgt von Baden-Württemberg und Bayern.

Ein Beispiel aus der Praxis ist die Stadt Aachen. Sie gilt als eine der fünf digitalen Modellregionen in Nordrhein-Westfalen und hat im Zuge dessen die „Digitale Strategie für die Stadt Aachen“ entwickelt. Dieses Skript zeigt auf, mit welchen Ideen und Lösungsansätzen die Stadt am Drei-Länder-Eck ihren Weg in die Digitalisierung beschreiten möchte und in welcher Form dieser Weg in den kommenden Jahren begangen werden soll. Dabei beginnt die Stadt bei der Vision ihrer digitalen Strategie, gibt einen Blick in die Arbeitsfelder und verrät ihre Meilensteine und Roadmaps.

Eine weitere Leitkommune des Förderprojektes ist Soest. Als kleinste Kommune dieses Projektes steht Soest beispielgebend für Mittelstädte und den ländlichen Raum. Das Team von „Soest Digital“ hat sich überwiegend auf die Bereiche eGovernment, Datenmanagement, Veranstaltungsorganisation und New Work spezialisiert. In Thinktanks und gemeinsamen Bürgerveranstaltungen überlegt die Stadt am Rande des Sauerlandes, wie Digitalisierung in öffentlichen Verwaltungen künftig gestaltet werden kann, damit Verwaltungsleistungen bürgerfreundlich sind und das Verwaltungshandeln optimieren. Bei ihrer Arbeit ist im besonderen Fokus, nicht nur den eigentlichen Antrag zu digitalisieren, sondern zugleich den dahinterliegenden Prozess der Bearbeitung der Verwaltungsleistung mitzubetrachten.

„Die Vorteile der Online-Services liegen auf der Hand: Bürger*innen können Leistungen können rund um die Uhr und ortsunabhängig beantragt.“

Auch die Stadt Dortmund sieht klare Vorteile bei der Digitalisierung der Verwaltungsprozesse: „Die Stadtverwaltung hat bei der Digitalisierung von Dienstleistungen einen enormen Schritt nach vorne gemacht. Die Vorteile der Online-Services bestehen darin, dass Leistungen rund um die Uhr und ortsunabhängig beantragt werden können. Warum auch nicht, sind wir doch alle das smarte Bestellen von Leistungen rund um die Uhr gewohnt“, betont Digitalisierungsdezernent Christian Uhr. „Sie können auch mobil über ein Smartphone und ohne Wartezeiten genutzt werden. Die Option, Anträge in Papierform zu stellen, bleibt natürlich weiterhin bestehen.“

Doch noch ein wenig größer geht es auf EU-Ebene zu: Um Geschäftliches und Behördliches zukünftig online noch einfacher zu erledigen, soll ab Herbst außerdem das Pilotprojekt des EU Digital-Wallets an den Start gehen. Die europäische digitale Identität soll dabei als Pendant zum analogen Personalausweis dienen und über eine App abrufbar sein.

Und nun?

Digitale Verwaltung und smarte Stadtentwicklungskonzepte gehören zu den drängendsten Zukunftsthemen unserer Zeit und sind in der Vergangenheit viel zu stiefmütterlich behandelt worden. Doch mit innovativen Technologielösungen und bereits umgesetzten Ansätzen, wie das E-Rechnungs- oder Onlinezugangsgesetz, sind erste Meilensteine in die richtige Richtung überwunden. Nun gilt es, ein stabiles Fundament zu schaffen, auf dem der Staat eine Plattform bereitstellt, das gut durchdacht und nicht nur auf Fassaden aufgebaut ist.

Mit digitalen Identitäten und Datenbanken, die mit einer automatischen SMS auf einen freien Kita-Platz aufmerksam machen, digitalen Signaturen, übergreifenden Bezahlmöglichkeiten im Netz und einheitlichen Standards, die für jeden verpflichtend sind, können wir uns an Ländern wie Dänemark, Niederlande und Österreich ein gutes Beispiel nehmen.

Sie wollen Ihre Stadt oder Gemeinde bei der Digitalisierung ihrer Vorhaben unterstützen? Schauen Sie doch mal auf der Interseite Ihres Wohnortes vorbei. Viele Kommunen rufen zu interaktiven Thinktanks und Bürgerbeteiligungen auf, um ihre Bürger in ihre Entscheidungen miteinzubeziehen und die Digitalisierung in ihrer Region bürger- und zukunftsorientiert zu gestalten.

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